Wissenschaftiche Abfassung zum Temporuum Flux, 2013 Geziefer

Clemen: Zeichnungen. Porzellan. Puppenstuben. Petrischalen 

Vortrag 22.3.2013, Palais XIII, Hamburg

Meine Freude ist unbeschreiblich über die Vielzahl interessierter Gezieferfreunde an diesem Abend! Und ich möchte mich bei ihnen allen sehr innig für ihr Interesse an meinen entomologischen Neuentdeckungen bedanken!

Mein Name ist Stefanie Clemen und ich forsche seit 1995 als prof rare nut Clem zum Thema Alltagsforschung.

In diesem Bereich habe ich zahlreiche Geziefer entdeckt, die Erklärungen für verschiedene Alltagsphänomene darstellen und diese im „Clems Tierleben“ beschrieben. Zwecks dieser Forschungsreihe entwickelte ich das Clemsche Spezialsichtbarmachungsverfahren:

Eine Linsenform, die unter anderem in einem 61- Stunden Inkubator eingelegt wurde und von
einer examinierten, geklonten Krankenschwester aufgetragenen wurde.

Einer Eingebung folgend, hatte ich bereits 1996 einen ersten Anlauf genommen, die Existenz der Geziefer in Zeit und Raum nachzuweisen. Ich wurde zwangsläufig auf sie aufmerksam, als ich mich theoretisch mit der Beschaffenheit der Zeit in Relation zu clemschen Geziefern auseinandersetzte: Meine Theorie hierzu lautet:

Das Temporuum begleitet uns stets, wenn wir uns mit dem Thema Zeit auseinandersetzen. 

Natürlich nutzte ich die bis dahin unübertrefflich wirksame Clemsche Sichtbarmachungs- methode. Außerdem stellte ich Zeitfallen auf, um diese Spezies zu sichten, nahm Proben von Zifferblättern, kochte Ursuppe nach einem Rezept von Hoimar von Dithurth, setzte Geldkulturen
aus zermahlenen Kupfermünzen an, siebte, zählte und zentripetierte Eieruhrsand.
Doch die Ergebnisse meiner Forschung blieben leider lediglich Andeutungen und Hinweise: kleine, unbewegliche Eier-Formen.

Das Gesichtete blieb ein schattenhaftes, unbewegtes Wesen von meist kleiner, kompakter Form. Meiner Vorahnung folgend kultvierte ich es an verschiedenen Stellen, die mir sinnvoll und auch komplett absurd erschienen. Aus diesen Ansätzen entwickelten sich die heute vorgestellten Temporuum-Flux- Spezies. Es sind Geziefer, die in Langzeitsituationen kultiviert und beobachtet werden. Sie sind ausschließlich unter Einsatz gelebter, geborener, gestorbener, geschlafener und gewarteter Zeit nachzuweisen. 

In dieser Ausstellung können sie einige der Spezies ansichtig werden und sie für eigene Versuchsaufbauten in ihrem heimischen Labor adoptieren und kultivieren.

Sie befinden sich unter anderem in Kulturpuppenstuben unter bleichem Mondlicht geerntetem Moos, und in den bekannten Petrischalen bei verschiedenen Lichtverhältnissen- auf Reste- Tellern.  Sie befinden sich auf mir. Ein Gelege kultivierte ich sogar in einem über dem Kompost schwebenden Wurmloch. Es hat sich auf eine derartige Größe ausgewachsen, dass unmöglich ist, es heute hier zu zeigen. Es reicht bis zur Beteigeuze einer Paralleldimension und zersetzt gleichzeitig mein altes Laub.

Während einige der sogenannten Eier nach einer mir unendlich erscheinenden Dauer schlüpften, und in madenförmige Puppen heranwuchsen, musste ich auch Verluste besonders im Bereich der Blitzversuche und Beschleunigungsdüngebreigaben hinnehmen.

Das Entwickeln und Erwachen ließ sich, wie erwähnt, weder beeinflussen noch beschleunigen, allerhöchstens begünstigen oder verschlechtern.

In Folge meiner Eindrücke perfektionierte ich mein Sichtbarmachungsverfahren- entließ die Krankenschwester und legte meine umgeschliffenen optischen Facettenlinsen in Filterkaffee ein, der aus einem gepufferten Substrat von Freudentränen in einer Dauerschleife des B- Movies „Die Fliege“ erhitzt wurde.

Außerdem erhöhte ich konsequent die Kalorienabgaben an mich, um die anstehenden Wartezeit noch echter wirken zu lassen.

Endlich wurde ich immer sicherer:

Das Erwachen der Temporuum Flux Spezies macht Zeit in der ein oder anderen Variante spürbar. 

Besonders prächtig gediehen die Spezies in klassischen Wartezuständen, sie spüren es an dem Gefühl eigener Unruhe, während sie beispielsweise im Stau stehen:

Die Temporuum entwickeln sich während der Hausaufgabenbetreuung, auf Turnbänken, in Krankenhäusern, Warteschlangen, Restaurants und vor Hallenbädern, an Bushaltestellen und Bahnhöfen, im Pflegeheim.

Wir erleben das Gefühl, den Zeitgeist zu treffen durch das Temporuum Spiritates.

Unsere so genannte Langeweile ist die Ursache einer Ausstülpung der Hirnmagenbahn, die in Momenten der Stille vom beunruhigten Temporuum Temporuum beim Anblick von Torte verursacht wird.

Das Temporuum Verticales Lauda verursacht hingegen den Eindruck von Zeitbeschleunigung.

Eiszeit,- das T.Frizzates- zuerst in der Würmeiszeit nachgewiesen und heute auf Speiseeis mit Lakritzgeschmack.

Das T. Vaccantii- vermehrt sich exponentiell bei beginnender Urlaubszeit und lässt uns uns krank fühlen und streitsüchtig. Es lebt in Kofferfutter und an Rucksackböden, es ernährt sich von den Krümeln des letzten Reiseproviants und von Sonnencreme: es verursacht die Urlaubszeit.

Das Temporuum Homini- kommt ursprünglich in Mettmann vor und birgt den Nachweis, dass der Neandertaler verwandt ist mit dem zeitgleich vorkommenden Homo Sapiens.

Das T. Pax Reflex verursacht Echtzeitreaktionen und sitzt auf echten Helden.

Das Temporuum Mariates beschleunigt die Pärchenbildung und führt nicht selten zur Hochzeit.

Temporuum Tranum Reflex Procrastris ist der Beschleunigungsalbtraum und sollte daher von Rennfahrern streng ferngehalten werden.

Wir spüren das klammernde und manchmal auch sehnsuchtsschmerzdurchflutete Temporuum Vanitatis und bezeichnen das Gefühl als Vergangenheit.

Das Temporuum Präsenz verursacht unterdessen unsere Vorstellung, uns in der Gegenwart zu befinden.

Das T. Futurensis Aliensis aktiviert sich beim Betrachten von Science Fiction Filmen-

Das T. Meditatum Jogii aktiviert sich unter der Vorstellung von sehr hellem Licht.

Das T. Eternit Augustines hat eine unmessbare Läge und ist hauchdünn. Es umspannt unsere
äußerste Wahrnehmungsschicht. Es verbindet uns mit dem Unfassbaren und erklärt die Wahrnehmung von Ewigkeit.

Die T. Wellsii-, sind Temporuum, die das Zeitreisen ermöglichen. Sie haften an den Buchstaben des Buches, dass der Zeitreisende im Finale der Geschichte „Die Zeitmaschine“ mit in die Zeit nimmt. Irrtümlich geht er davon aus, dass die Maschine seine Reise ermöglicht.

 

Forscher, die sich ebenfalls mit den Temporuum auseinandersetzten:

Samuel Bekett in „Warten auf Godot“,
„Endlich weiß man, was Zeit ist: Solange man auch trödelt, es wird nicht früher.“ – Günter Eich, Maulwürfe
„Es gibt ein großes und doch ganz alltägliches Geheimnis. Alle Menschen haben daran teil, jeder kennt es, aber die wenigsten denken je darüber nach. Die meisten Leute nehmen es einfach so hin und wundern sich kein bisschen darüber. Dieses Geheimnis ist die Zeit.“ – Michael Ende, Momo, Stuttgart, 1973
„Sie litten alle unter der Angst, keine Zeit für alles zu haben, und wussten nicht, dass Zeit haben nichts anderes heißt, als keine Zeit für alles zu haben.“ – Robert Musil, „Der Mann ohne Eigenschaften“, II,40
„Zeit ist Geld.“ – Benjamin Franklin, Advice to a Young Tradesman, 21. Juli 1748
Wittgenstein: Tractatus 6.4311: Wenn man unter Ewigkeit nicht unendliche Zeitdauer, sondern Unzeitlichkeit versteht, dann lebt der ewig, der in der Gegenwart lebt.
Die Abenteuer des starken Wanja, 1968 von Otfried Preussler.
„Ich trage nie eine Uhr“, Stefanie Clemen

 

Sehr viel Spaß mit meinen Laboregrebnissen!